Antidepressiva-Therapie:
Stufe um Stufe zum Erfolg
Berlin. Keine Form
der Depressionsbehandlung kann für sich beanspruchen, durchweg zu
wirken. Womit man auch beginnt, immer wird es beim ersten Anlauf rund
ein Drittel „Versager“ geben. Die Kunst besteht deshalb darin, bei einer
„Nonresponse“ nicht aufzugeben, sondern eine Stufe weiter zugehen und
dabei die nächst aussichtsreiche Maßnahme zu wählen. Wer das heute
verfügbare Instrumentarium ausreizt, kann mit Erfolgsquoten von bis zu
95 Prozent rechnen. In den verbleibenden Fällen sollte man an der
Diagnose „Depression“ zweifeln.
Diese und weitere
wichtige Hinweise zur zeitgemäßen Depressionstherapie gab Dr. med. Horst
Berzewski auf einem Pharmacia-Symposium in Berlin. Der ärztliche Leiter
der Ambulanz und Tagesklinik für psychologische Medizin an der Fliedner
Klinik Berlin machte besonders auf „Pseudo-Resistenzen“ aufmerksam. Nach
seiner Erfahrung begegnet man ihnen am häufigsten in Form der
Unterdosierung von Antidepressiva. Weitere Ursachen einer „Non-Response“
sind eine zu kurze Therapiedauer, der Wechsel auf ein Antidepressivum
der gleichen Wirkklasse, zu niedrige Plasmaspiegel (bei Patienten mit
schneller Verstoffwechselung), mangelnde Compliance (etwa bei täglicher
Mehrfachgabe) und eine falsche Ausgangsdiagnose.
Wichtig ist es,
Depressionen bald und optimal zu behandeln. Denn Depressionen neigen zur
Chronizität und werden umso schwerer therapierbar, je häufiger es in der
Vergangenheit zu Rezidiven kam. Leider erhält nur jeder 10. Depressive
bislang ein bewährtes Antidepressivum, so dass für viele Betroffene der
Weg in ein Dauerleiden gebahnt scheint. Möglicherweise werden viele
Depressionen auch deswegen übersehen, weil sich das klinische Bild zu
wandeln scheint. Anstelle von „Weltschmerz“ oder „existentieller
Besorgnis“ treten immer mehr körperliche Symptome, die psychiatrische
Zusammenhänge leicht übersehen lassen.
Welches Antidepressivum
man als erstes einsetzt, hängt von der klinischen Erfahrung ab. Als
Beispiel erwähnte Berzewski Patienten im mittleren Lebensalter, die
unter Antriebshemmung, Morgentief und kognitiven Defiziten leiden.
Dieser Personenkreis spricht offenbar auf das selektiv noradrenerg
wirkende Antidepressivum Reboxetin (Edronax®) besonders gut an. Bei
Patienten mit einem überschießend reagierenden noradrenergen System riet
Berzewski, dieses in den ersten drei Behandlungstagen mit Alprazolam (Tafil®)
zu dämpfen, zumal Alprazolam als einziges Benzodiazepin eine leicht
antidepressive Wirkung hat.
Bleibt der
Behandlungserfolg aus, kann man alternativ eine Substanz mit einem
anderen Rezeptorprofil verordnen oder – wofür der Berliner Experte
plädierte – diese Substanz im Sinne einer „Augmentation“ zusätzlich
anwenden. Gegenüber der Monotherapie mit einem gleichzeitig serotonerg
und noradrenerg wirkenden Arzneimittel hat das zweigleisige Vorgehen den
Vorteil, dass sich die beiden Wirkprinzipien individueller auf den
Patienten abstimmen lassen. Bleibt auch auf der zweiten Behandlungsstufe
der Erfolg aus, bietet sich im Sinne einer dritten Stufe die
Augmentation mit Lithium an. Spätestens nach 14 Tagen zeigt sich in
jedem zweiten der bislang resistenten Fälle ein deutlicher Effekt. Bei
den verbleibenden Patienten lohnt sich auf der vierten Stufe eine
weitere Augmentation, diesmal mit den Schilddrüsenhormonen T3
und T4. Sollten herkömmliche Dosen nicht ausreichen, kommt
eine „Hochdosistherapie“ in Betracht, die allerdings vorerst
Spezialambulanzen vorbehalten bleibt. Interessanterweise vertragen
Depressive diese Behandlung erstaunlich gut. Bei anhaltender
„Therapieresistenz“ steht schließlich auf der fünften Stufe noch die
Elektrokrampftherapie (EKT) als besonders wirksames Verfahren zur
Verfügung. Während die EKT selbst erfreulich verträglich ist, kann die
dafür vorgeschriebene Anästhesie eher Probleme bereiten.
Eine lebhafte
Diskussion entzündete sich an der Frage, inwieweit moderne
Antidepressiva angesichts der Arzneimittelbudgetierung ohne
Regressgefahr verordnet werden können. In diesem Zusammenhang wurde
deutlich, dass zumindest berufstätigen Patienten – insbesondere wenn sie
auch noch Auto fahren müssen - heute keine sedierenden Antidepressiva
mehr verordnet werden dürfen. Wer diese Begründung ausführlich in der
Krankenakte dokumentiert (ein Formblatt kann genügen), wehrt potentielle
Regresse ab.
Nach dem Vortrag
„Rationale für eine Stufenplantherapie“ auf dem Regionalsymposium
„Depression, ADHD und Transmittersysteme“ am 20.01.2001 in Berlin.
Veranstalter: Pharmacia GmbH, Erlangen. Berichterstatter: Dr. Dr. med.
Herbert Mück, Köln |
|